Porträt einer Frau



Porträt einer Frau


Inventar Nr.: Sk 33
Bezeichnung: Porträt einer Frau
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 270 - 280 n. Chr., nachgallienisch
Epoche/Stil:nachgallienisch
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Großkristalliner, bläulich-weißer Marmor mit dunklen Adern
Maße: 17 cm (Höhe)
Provenienz:Alter Bestand, wahrscheinlich im 18. Jh. erworben.


Katalogtext:
Der kleine, unterlebensgroße Kopf ist deutlich nach links gewandt und geneigt. Das schmale längliche Gesicht weist starke Asymmetrien auf und wirkt etwas verzerrt. Seine Oberfläche ist poliert. Die hohe Stirn ist gerundet. Die vorgewölbten geschwungenen Brauenbögen treffen sich am schmalen Ansatz der relativ kurzen Nase. Die wulstartigen Lider sorgen für eine starke Konturierung der schmalen länglichen Augen. Grobe Kerblinien trennen die Oberlider von den wulstigen Orbitalen. Die eingeritzte Iris berührt das Unterlid, zwei in der Mitte verbundene Punktbohrungen geben die Pupille an. Der melancholische Blick geht nach links ins Unbestimmte und verleiht dem Gesicht einen ernsten, etwas leidenden Ausdruck.

Die langgestreckten Wangen, deren Knochen nur wenig hervortreten, verjüngen sich leicht zum Kinn hin. Die Oberlippe des schmalen schiefen Mundes tritt deutlich vor, punktförmige Bohrungen geben die Mundwinkel an. Das glatte gespannte Inkarnat ist kaum durchmodelliert.

Das Haar läuft von einem Mittelscheitel aus in sanften Wellen zum Nacken. Dabei bleiben die Ohren frei, vor denen sich je eine kurze Locke aus der Haarmasse löst. Die obere Lage des Stirnhaars fällt über den beiden äußeren Augenwinkeln in Schlaufen nach vorne. Lange Kerbrillen gliedern das Haar schematisch in relativ breite Strähnen. Im Nacken ist es schlaufenartig umgeschlagen und zu einem breiten Scheitelzopf geflochten. Er bedeckt den gesamten Hinter- und Oberkopf in der Art einer flachen Schale und läuft bis zur Stirn nach vorne, wo er leicht an Volumen gewinnt. Offenbar war das Ende des Scheitelzopfes dort zu einer flachen Rolle eingeschlagen, die etwas über die vollständig geglättete Stirn hinausreichte. Eine tiefe Bohrrille zwischen den beiden Stirnhaarschlaufen zeigt, dass die Scheitelzopfrolle unterbohrt war. Die Flechtengliederung des Zopfes ist nur entlang seiner äußeren Kanten als flüchtig eingeritztes Rautenmuster angegeben. Ansonsten ist seine Oberfläche lediglich geglättet. Werkzeugspuren weisen auf den Einsatz von Zahneisen und Raspel hin.

Das Porträt zeigt eine uns unbekannte junge Frau. Ihre Haartracht entwickelt die Scheitelzopffrisur des mittleren 3. Jhs. n. Chr. und der gallienischen Zeit weiter. Eine ähnliche Ausführung mit breitem schwerem Zopf, der über der Stirn eingeschlagen ist, kennzeichnet die Bildnisse der Kaiserinnen Severina und Magnia Urbica auf Münzen, die 274/275 bzw. 283/284 n. Chr. geprägt wurden (Bergmann 1977). Rundplastische Porträts der beiden Kaiserinnen konnten bislang allerdings nicht identifiziert werden.

Die gleiche Frisur prägt eine Gruppe weiblicher Bildnisse, die zudem in der Gestaltung des Gesichtes und dem ernsten leidenden Ausdruck enge Parallelen zu dem Kasseler Kopf aufweisen (Bergmann 1977, Stutzinger 1983). Sie schließen sich an das Frauenporträt auf dem sogenannten Annonasarkophag im Thermenmuseum Rom an, der auch anhand seines Männerbildnisses zwischen 270 und 280 n. Chr. datiert wird (Bergmann 1977, vgl. Rodenwaldt 1936, Koch – Sichtermann 1982). Damit ermöglicht er eine genauere chronologische Einordnung der gesamten Gruppe. Unser Bildnis steht dem Frauenporträt des Annonasarkophags in der Gestaltung seines Stirnhaars, seiner Gesichtsform und dem Schnitt seiner Augen besonders nahe (Bieber 1915). Demnach muß es ebenfalls in den Jahren zwischen 270 und 280 n. Chr. entstanden sein.

Es stellt eine Routinearbeit dar und folgt in Frisur und Gesicht einem Zeittypus, der für die kurze nachgallienische Periode vor dem Übergang zur tetrarchischen Zeit charakteristisch ist (Bergmann 1977). Er bestimmt die insgesamt wenigen weiblichen Privatporträts, die sich bislang dieser Phase zuweisen lassen (Fittschen – Zanker 1983, Cesarano 1988). Die gleichförmige Gestaltung von Frisur und Gesicht lässt die Bildnisse eher unpersönlich wirken (Bergmann 1977). In dieser Zurückdrängung des Individuellen kündigen sich möglicherweise bereits Tendenzen an, die auch die Porträtkunst der nachfolgenden tetrarchischen Epoche prägen (Bergmann 1983).

Da der Bildhauer auf eine detaillierte Ausarbeitung der Ober- und Rückseite des Kasseler Bildnisses verzichtet hat, waren sie in der ursprünglichen Anbringung höchstwahrscheinlich nicht sichtbar. Es ist durchaus denkbar, dass der Kopf Teil eines Sarkophagreliefs war (Bergmann 1977, Stutzinger 1983). Auch sein Format widerspricht dieser Annahme nicht. Da am Ober- und Hinterkopf keine Ansatzspuren zu erkennen sind, muß es sich um ein freiplastisch ausgeführtes Element des Reliefs gehandelt haben. Die starke Kopfwendung deutet darauf hin, dass das Bildnis auf eine Pendantfigur bezogen war (Stutzinger 1983). Vielleicht gehörte es zu einer ähnlichen dextrarum iunctio-Szene wie der, die auf dem Annonasarkophag dargestellt ist und die eine innige Verbundenheit der Ehepartner sowie Trennungsschmerz zum Ausdruck bringt. Eine ähnliche Pendantkomposition liegt wohl auch drei freiplastischen Miniaturporträts eines Ehepaares in Cleveland zugrunde, die in die gleiche Zeitphase zu datieren sind (Bergmann 1977; Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979, Nr. 323–325).

(Zimmermann-Elseify 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 58.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 287, Abbildung S. 288, Kat.Nr. 93.


Letzte Aktualisierung: 15.04.2024



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